Knappe Lebensmittel auch in Europa?

Interview mit Pflanzengenetiker Hans-Jörg Jacobsen

Hans-Joerg Jacobson_Uni Hannover_ PorträtIn Afrika und Asien sterben Menschen an Unterernährung; in Deutschland wird Essen in großen Mengen weggeworfen. Die Ernährung der Weltbevölkerung scheint bisher ein Verteilungsproblem zu sein. Das wird sich in Zukunft radikal ändern, meint Professor Hans-Jörg Jacobsen vom Institut für Pflanzengenetik der Leibniz Universität Hannover: Dann werden Nahrungsmittel für alle knapp. Der Wissenschaftler warnt deshalb vor unbegründeten Vorurteilen gegenüber grüner Gentechnik.

Die deutsche Bevölkerung schrumpft. Warum sollte Nahrungsknappheit für uns ein Thema werden?

Hans-Jörg Jacobson: Unser Bedarf an pflanzlichen Produkten nimmt tatsächlich zu, weil wir sie nicht nur für den Verzehr nutzen. Mais zum Beispiel wird – auch subventioniert – zunehmend für Biogasanlagen angebaut, denn alle wollen ja die Energiewende. Und mit einem Zentner Weizen kann ich entweder einen Menschen sechs Wochen ernähren oder ein Auto mit Biosprit von Hamburg nach Hannover fahren lassen. Anzeichen für Verknappung gibt es schon: Deutschland wird im Jahr 2012 zum ersten Mal seit 25 Jahren mehr Getreide importieren als es ausführt, weltweit steigen die Lebensmittelpreise.

Können wir nicht einfach mehr Nahrung produzieren?

Das geht nicht so einfach. Es gibt weltweit ungefähr 1,5 Milliarden Hektar Anbaufläche, die lässt sich kaum vermehren. Mit jedem weiteren Stück Grünland, das umgepflügt wird, wird zusätzliches Kohlendioxid frei, das die Atmosphäre aufheizt, weil die Mikroorganismen durch mehr Sauerstoff im Boden aktiver werden und organische Substanz abbauen. Was wir brauchen, ist eine nachhaltige Intensivierung auf den Flächen, die wir haben.

Statt mehr Fläche also effektivere Nutzung?

So ist es: Der Ertrag lässt sich durch besseres Management steigern – allerdings derzeit maximal um ein Prozent pro Jahr. Deshalb müssen wir neue Wege gehen: Wir brauchen Pflanzen, die Krankheiten besser abwehren und mit weniger Pflanzenschutzmitteln, Wasser und Dünger auskommen.

Und die lassen sich züchten?

Die Pflanzenzüchtung hat zwei Nachteile. Zum einen dauert es lange, bis man die gewünschten Eigenschaften heraus selektiert und in neue Sorten eingebracht hat. Zum anderen lassen sich nur die Merkmale nutzen, die bereits in einem Genpool enthalten sind. Mit Blick auf den Klimawandel brauchen wir aber neue Merkmale: Bangladesch zum Beispiel ist auf Maispflanzen angewiesen, die sowohl längerer Trockenheit als auch Überflutung standhalten. Solche Herausforderungen lassen sich schnell nur mit grüner Gentechnik lösen.

Das Unbehagen gegenüber gentechnisch veränderten Pflanzen ist jedoch groß.

Die Vorbehalte sind nach Stand von Wissenschaft und Technik unbegründet. Die EU hat 300 Millionen Euro in rund 500 Projekte investiert, um mögliche Risiken der grünen Gentechnik zu erforschen. Das Ergebnis: Grüne Gentechnik birgt nicht mehr oder nicht weniger Risiken als konventionelle Züchtung. Aber diese Ergebnisse nimmt die Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis, solange große Boulevardzeitungen noch titeln: „Genkartoffeln lassen das Gehirn schrumpfen.“

Was halten Sie von den Argumenten der Naturschützer?

Wenig. In der Szene der Gentechnikgegner wird die schöne heile Welt propagiert und dass die Welt so bleiben sollte wie sie ist, also mit dem Kleinbauern auf der eigenen Scholle usw. Dabei verändert sich unsere Umwelt immer und hat sich immer verändert, auch ohne Eingreifen des Menschen. So sind beispielsweise die Gene einer Pflanze auch in der Natur nicht stabil, sie verändern sich durch Mutationen ständig. Keine unserer Kulturpflanzen ist in der freien Natur überlebensfähig, weil häufig natürliche Resistenzen weggezüchtet wurden. Die grüne Gentechnik ist eine Möglichkeit, hier Abhilfe zu schaffen, wenn konventionelle Methoden keine Lösungen ermöglichen. Wir können es uns angesichts der vor uns liegenden Probleme wie Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Energiemangel oder auch weltweit sich verändernden Essgewohnheiten nicht leisten, auch nur einen Ansatz zu vernachlässigen.