Wie prägen religiöse Werte den politischen Diskurs in Deutschland und in der arabischen Welt? Sollen sie bei politischen Entscheidungen überhaupt eine Rolle spielen? Die Podiumsdiskussion beim Parlamentarischen Abend in Berlin sorgte bis kurz vor Mitternacht für angeregten und kontroversen interkulturellen Austausch.
Das brisante Thema traf den Kern vieler Gespräche, die die 90 DAAD-Stipendiaten untereinander täglich führen. Sie studieren in den fünf deutsch-arabischen Masterstudiengängen und waren zum diesjährigen „Berlin-Seminar“ in der Hauptstadt zusammengekommen. Zu der lebhaften Podiumsdiskussion hatte der DAAD gemeinsam mit der Deutsch-Arabischen Freundschaftsgesellschaft eingeladen.
„Wir diskutieren über Fakten in unserem Studiengang immer so, dass wir die dahinter stehenden verschiedenen Annahmen über Gesellschaft oder auch Religion mitverhandeln“, erzählt Vera Klöttschen aus Bonn. Die Deutsche absolviert den deutsch-arabischen Masterstudiengang „Integrated Water Recources Management“ (IWRM) an der University of Jordan in Amman und an der Fachhochschule Köln. „Wir stellen unsere Ansichten einander gegenüber, vergleichen und heben Gemeinsamkeiten heraus.“
Interessiert und kritisch verfolgten Vera und ihre Kommilitonen aus zahlreichen arabischen Ländern daher die Diskussion in Berlin. Auf dem Podium saßen Abdelmagaud Darderi, Mitglied der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei und Abgeordneter des ägyptischen Parlaments, die Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und Gudrun Krämer. Die Professorin leitet das Institut für Islamwissenschaften der Freien Universität Berlin.
Kontrovers und kritisch
Kerstin Griese ist auch Kirchenbeauftragte der SPD-Fraktion. Sie vermittelte den Zuhörern an konkreten Beispielen den Zusammenhang zwischen ihren Werten, für die sie sich politisch einsetzt, und ihrem christlichen Glauben. Keineswegs sei ihr Glaube jedoch für jede politische Entscheidung relevant. „Eine Christin im politischen Kontext zu erleben, war für mich neu und sehr spannend“, sagt Jihed Mejrissi aus Tunesien. Er studiert „Economic Change in the Arab Region“ (ECAR): Das Masterprogramm startete die Universität Marburg 2008 zunächst mit der Universität Damaskus, musste dann aber wegen der politischen Situation in Syrien einen neuen Partner suchen und wurde mit der Lebanese American University in Beirut fündig.
Die Stipendiaten gingen mit den Diskutanten durchaus härter ins Gericht. Als ein Gast nachfragte, wie deutsche Waffenlieferungen mit christlichen Werten vereinbar seien, meinte Kerstin Griese, sie sei persönlich und auch als Oppositionspolitikerin dagegen. „Das war für mich unglaubwürdig“, erklärte Sebastian Klos vom IWRM-Studiengang anschließend seinen arabischen Kommilitonen, da auch die SPD-geführte Regierung seinerzeit Waffen verkauft habe.
Kritisch äußerte sich auch die DAAD-Stipendiatin Mahy Mourad aus Kairo gegenüber Abdelmagaud Darderi. Der ägyptische Muslimbruder beschrieb seinen Glauben als eine Lebensform und soziale Bewegung. So verstanden, bestimmt der Islam seine Arbeit als Parlamentarier in jedem Augenblick. Für Mahy Mourad vermittelte das ein einseitiges Bild. Sie hätte sich auch die andere Perspektive auf das Podium gewünscht, die in Ägypten derzeit die enge Verbindung von Religion und Politik heftig kritisiert. Mahy Mourad studiert „Integrated Urbanism and Sustainable Design“ (IUSD) an der Universität Stuttgart und der Ains Shams University in Kairo.
Verstehen statt verurteilen
In der Geschichte des Islam habe es eine solch enge Beziehung zwischen Religion und Politik keineswegs immer gegeben, warf die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer ein. Die darauffolgende historische Argumentation drängte die Diskussion aus Sicht der Ägypterin Heba Badr aus dem IUSD-Studiengang in eine andere Richtung. „Es ging zu sehr um den Gegensatz von Christentum und Islam. Ich hätte es bevorzugt, wenn konkreter über die Werte gesprochen worden wäre, auf die man sich heute gemeinsam einigen kann.“
Auch nach Ansicht von Mohamed Allani verengte sich die Podiumsdiskussion auf alte Grabenkämpfe. „Wir in den bi-kulturellen Masterstudiengängen haben in sechs Monaten unsere Perspektive aufeinander völlig verändert. Das ist wirklich beeindruckend.“ Der Tunesier aus dem IWRM-Studiengang ist überzeugt, dass die Masterstudiengänge für junge deutsche und arabische Führungskräfte erreichen, was die ältere Generation nur schwer schafft: „Es geht uns mehr darum, den anderen zu verstehen als ihn zu kritisieren und zu verurteilen. Wir rücken unsere Ähnlichkeiten deutlicher in den Blick als unsere Unterschiede.“ Wie ihr Kommilitone ist auch Vera Klöttschen überzeugt, dass die Diskussion über Wissenschaft, Politik und Werte in den Masterstudiengängen wesentlich offener und vor allem konstruktiver ist, auch wenn sie religiöse Fragen streift. „Wir sind da schon weiter als die Podiumsteilnehmer.“
Was ist das „Berlin-Seminar“?
Das „Berlin-Seminar“ der deutsch-arabischen Masterstudiengänge soll den Teilnehmer vermitteln, wie das deutsche Parlaments- und Regierungssystem funktioniert. Ziel ist es, den jungen Führungskräften das Zusammenwirken von Entwicklung, Wirtschaft, Außen- und Kulturpolitik näher zu bringen. In kleinen Gruppen treffen die Stipendiatinnen und Stipendiaten Mitglieder des Deutschen Bundestags und andere politische und zivilgesellschaftliche Instanzen. Das Seminar fand dieses Jahr zum fünften Mal statt.
Impressionen von der Veranstaltung:
Fotos: DAFG