Wissenschaft und gute Praxis müssen Hand in Hand gehen, wenn es darum geht, die drängenden Probleme unserer Zeit zu lösen. Das ist die Meinung von Anwar Fazal, Aktivist aus Malaysia und Träger des Right Livelihood Award, auch bekannt als alternativer Nobelpreis. Auf der Bonner Jubiläumskonferenz und im Interview spricht er über die Bedeutung von Vorreiterprojekten.
In Bonn werden Sie über die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sprechen. Welche sind das?
Unsere wichtigsten Probleme hat bereits Mahatma Gandhi in seinen sozialen Sünden der modernen Welt beschrieben: Politik ohne Prinzipien, Wissen ohne Charakter, Wissenschaft ohne Menschlichkeit und Geschäft ohne Moral. Ich würde noch ergänzen: Rechte ohne Verantwortlichkeit, Entwicklung ohne Nachhaltigkeit und Recht ohne Gerechtigkeit. Wir stehen an einem Scheideweg, was das Überleben unserer Gesellschaft angeht: Bisher gehen wir den Weg des ökologischen Selbstmords; unser ökonomisches System funktioniert wie ein Spielcasino und unser Rechtssystem schützt in erster Linie nur ein Prozent der Gesellschaft, nämlich die Großunternehmen und das Finanzsystem. Das muss sich ändern.
Was können Bildung und Wissenschaft tun?
Die Universitäten haben drei Plattformen, auf denen sie aktiv werden können: Lehre, Forschung und – leider oft vergessen – gesellschaftliches Engagement. Es könnte regelmäßige Diskussionsrunden geben mit Vordenkern, die unser aktuelles System und die Katastrophen, die dieses immer wieder produziert, in Frage stellen. An den Right Livelihood Colleges zum Beispiel findet so eine Auseinandersetzung statt: Hier kommen junge Forscher mit alternativen Nobelpreisträgern zusammen. Forschung wird mit Lebenspraxis gefüllt und engagierte Aktivisten werden an die Forschung gebunden.
Sitzen zu viele Forscher immer noch im Elfenbeinturm?
Die akademische Welt könnte viel mehr bewirken. Sie müsste sich stärker engagieren für das, was wir am Right Livelihood College die fünf Funken des Wandels nennen: Projekte der Hoffnung unterstützen, Lösungen finden, Mut honorieren, Handeln statt Reden und das Unmögliche möglich machen.
Wie kann man die Wissenschaft dazu motivieren, sich stärker gesellschaftlich einzubringen?
Am Right Livelihood College finanzieren wir Fellowships. Sie richten sich an Master-Studierende und Doktoranden weltweit, die sich mit der Arbeit von alternativen Nobelpreisträgern wissenschaftlich auseinandersetzen möchten. Eine Doktorandin forscht zum Beispiel am Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung und parallel an der Universiti Sains Malaysia über Arbeitsmigranten, eines der großen globalen Probleme. Sie wird dabei vom DAAD unterstützt. Wir hoffen, dass solche Programme Nachahmer auf der ganzen Welt finden. Denn es gibt keinen besseren Weg, jemanden davon zu überzeugen etwas zu tun, als zu zeigen, dass es schon getan wird.
Auch der Millennium Express versucht, im akademischen Umfeld etwas zu bewegen.
Ich bin beeindruckt von diesem einzigartigen Programm, der Vielfalt der Studierenden und dem internationalen und interdisziplinären Austausch. Ich habe großes Interesse gesehen, die wirklich brennenden Probleme unserer Tage nicht nur zu ergründen, sondern sie auch anzupacken. Der Millennium Express ist ein großartiges Projekt und wird sich sicher weiter verbreiten.
Um die Verbindung von Theorie und Praxis geht es auch in den entwicklungsländerbezogenen Aufbaustudiengängen des DAAD.
Das macht aus meiner Sicht Sinn. Wenn junge Berufstätige aus Entwicklungsländern in Deutschland Neues dazulernen und es in ihre Heimat tragen, wird der Abstand zwischen Wissen und seiner Umsetzung kürzer. Somit zählt das Programm zu den Projekten der Hoffnung. Mit noch mehr von solchen Programmen und mit einer neuen Generation aufgeklärter Studierender könnten wir uns endlich auf den Weg zur globalen ökologischen Balance machen. Wir könnten materielle und geistige Armut beseitigen und zu Frieden und Gerechtigkeit weltweit beitragen.